Forschungsstandort Heidelberg
Leben ist Bewegung
Die ehemalige Stiftung Orthopädische Universitätsklinik Heidelberg ist eine der größten und mit knapp 100-jähriger Geschichte ältesten Kliniken für muskuloskelettale Universitätsmedizin in Deutschland. Architektonisch und inhaltlich „unter einem Dach“ prägt das Heidelberger Team die gemeinsame Passion, Bewegung für Patienten zu ermöglichen. Konzepte der Präzisions- und Präventionsforschung verbinden dabei übergreifend die wissenschaftlichen Möglichkeiten.
Im Heidelberger Stadtteil Schlierbach verbinden sich Spitzenmedizin und Exzellenzforschung. Am Eingang in den weitläufigen Campus blitzen Sonnenstrahlen auf filigran windsensibel gelagerten Stahlblättern an einer im Jahr 1996 von dem Künstler Hans-Michael Kissel geschaffenen Skulptur. Deren Titel „Life is movement“ hätte für den Wissenschaftsstandort mit Grundlagen-, translationaler und klinischer Forschung nicht besser gewählt sein können. Eine große Anzahl von Wissenschaftsförderungen, Preisen und Auszeichnungen sind mit dem Klinikum verbunden – Ausdruck einer jahrzehntelangen, erstklassigen wissenschaftlichen Leitung des ehemaligen Direktors Prof. Dr. Volker Ewerbeck. Diese Erfolgsstrategie setzt sich fort, sichtbar unter anderem in zahlreichen BMBF- und DFG-Projekten, die aktuell realisiert werden. Im Jahr 2020 wurden von den klinischen Forschungseinrichtungen 135 Arbeiten mit insgesamt 295 Impactpunkten publiziert. Aktuell werden über 120 klinische Studien bearbeitet.
Mit evidenzbasierter Expertise und Fragestellungen, die sich immer nahe am Patientennutzen orientieren, werden zukünftig digitale Hightech-Operationsverfahren den Weg aus der wissenschaftlichen Entwicklung und Evaluation in Schlierbach in die klinische Routine finden, wie z.B. in der Endoprothetik oder der Kinderorthopädie, Neuroorthopädie und Fußchirurgie. Das Heidelberger Konzept zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses macht den Forschungsstandort dabei schon heute zukunftssicher.
Künstliche Gelenke und Implantate werden in der Klinik vielseitig und sehr erfolgreich eingesetzt, um bei betroffenen Patienten eine schmerzfreie und gute Funktionalität wiederherzustellen. Die meisten Implantate funktionieren lange sehr gut. Allerdings kommt es auch zu Komplikationen und es besteht ein hohes Potenzial, Implantate und die operative Versorgung weiter zu verbessern. Daher beschäftigt sich das Labor für Biomechanik und Implantatforschung (LBI, Leitung: Prof. Dr. J. Philippe Kretzer) im Schwerpunkt mit experimentellen Untersuchungen und der Optimierung von Implantaten, wobei der Ersatz des Hüft-, Knie- und Schultergelenks im Fokus stehen. Thematische Schwerpunkte sind die Verschleißeigenschaften der Implantate, die sichere Verbindung und Fixierung im Knochen, die Entwicklung und Optimierung neuer Materialien und neuer Technologien sowie die Analyse von Explantaten und Schadensfällen. Bei allen Entwicklungen und Forschungsansätzen hat die Patientensicherheit eine äußerst hohe Priorität. Durch die enge Anbindung an die Orthopädische Klinik werden Entwicklungsprojekte und wissenschaftliche Fragestellungen immer gemeinsam und in einem interdisziplinären Team mit unmittelbarem klinischem Kontext erforscht und beantwortet.
Unter Leitung von Prof. Dr. Sebastian Wolf werden seit 1993 mit 3D-Motion-Tracking, Kraft- und Druckmessplatten, dynamischer Elektromyografie, Sauerstoff-Verbrauchsmessung und optischem 3D-Ultraschall-Tracking alle Aspekte menschlicher Bewegung analysiert. Konzepte aus der Präventions- und Sportorthopädie, Ergonomie, technischorthopädische Entwicklungen, neurologisch bedingte Gangstörungen und operative Verfahren aus allen Bereichen der Orthopädie werden erforscht. Fehlbewegungen und -belastungen, muskuläre oder neuromotorische Defizite können in der für Deutschland einzigartigen Hochschulambulanz mit integrierter Bewegungsanalyse beim Patienten aufgedeckt und Interventionen gezielt geplant werden. Forschung und Klinik verbinden sich damit im Heidelberg MotionLab symbiotisch und aus Studien mit den eigens entwickelten Biomechanikmodellen („Heidelberger Fußmodell“, „Heidelberg Upper Extremity Model“) entstanden Anwendungen bei knöchernen Korrekturen und Sehnentransfers, nach Traumaversorgung und Gelenkersatz bis hin zu Entwicklungen in der Beinprothetik.
Der Forschungsbereich „Molekulare und regenerative Orthopädie“ (Leitung: Frau PD Dr. Solvig Diederichs, Prof. Dr. Tobias Renkawitz) ist Teil der Orthopädischen Universitätsklinik und wurde 2022 nach Ende des ehemaligen Lehrstuhls für Experimentelle Orthopädie (Prof. Dr. Wiltrud Richter) neu etabliert. Ziel ist die Erforschung der molekularen und zellulären Prozesse in der Pathogenese der Osteoarthrose sowie die Analyse von bioaktiven Substanzen auf molekularer Basis und deren therapeutische Anwendbarkeit in der gelenkerhaltenden sowie rekonstruktiven orthopädischen Chirurgie und Tumororthopädie mit einem besonderen Fokus auf die Erforschung von onkologischen und immunologischen Prozessen. Insgesamt sieben Arbeitsgruppen arbeiten mit experimentellen Methoden der Molekularbiologie einschließlich Tissue Engineering und Bioprinting als auch mit Tiermodellen am Standort. Der Forschungsbereich ist nach den Richtlinie der Sektion Grundlagenforschung der DGOU zertifiziert und bearbeitet zahlreiche DFG-Projekte/-Initiativen in DFG- und EU-Forschergruppen sowie nationale/internationale Forschungsprojekte. Für innovative Forschungsansätze und -ergebnisse im Bereich Biomaterialien zur Lokaltherapie von Knochentumoren und immunologisch inerten Knochenersatzmaterialien wurde die Arbeitsgruppe 2022 mit dem Grundlagenforschungspreis der DGOU ausgezeichnet.
Ein Schwerpunkt des Forschungsbereiches in der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie (Leitung: Prof. Dr. Gerhard Schmidmaier) ist die Behandlung der gestörten Knochenheilung beziehungsweise der Pseudarthrose. Deutschlandweit führt die Heidelberg Trauma Research Group (HTRG) eines der größten Pseudarthrosenregister, das einen wichtigen Eckpfeiler zur Entwicklung neuer Therapiestrategien in der Behandlung der Pseudarthrose darstellt. Im Rahmen von klinischen Studien werden innovative Knochenersatzmaterialien, antibiotikafreisetzende Knochenersatzmaterialien und Wachstumsfaktoren evaluiert. Im Bereich der Grundlagenforschung werden mithilfe von Tiermodellen neue osteoinduktive und -konduktive Therapieansätze in der Pseudarthrosetherapie untersucht und definiert. Des Weiteren werden im Rahmen zahlreicher In-vitro-Studien zur Knochenregeneration neue Quantifikationsmethoden zur Bestimmung des osteogenen Potenzials mesenchymaler Stammzellen unter Verwendung von radioaktiven Tracern entwickelt.
Das Klinische Studienzentrum O und U (KSOU) wurde an der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie 2014 mit dem Ziel gegründet, eine zentrale Koordination von laufenden und geplanten klinischen Studien zu ermöglichen und den gesamten Prozess der Planung, Durchführung und Auswertung/Publikation wissenschaftlicher Studien mit klinischer Fragestellung nach den Vorgaben der Good Clinical Practice transparent und effizient zu gestalten. Entgegen dem Trend an vielen Universitätsstandorten, diese Aufgaben zentral zu etablieren, wurde in Schlierbach eine eigene Infrastruktur mit Räumlichkeiten, digitalen Arbeitsplätzen und personellen Ressourcen speziell für die Belange aus O und U geschaffen. Der wissenschaftliche Schwerpunkt des KSOU (Leitung: Dott. Emanuela Dabbeni, PD Dr. Tillmann Walker, Prof. Dr. Tobias Renkawitz) liegt in prospektiven und retrospektiven klinischen Arbeiten mit Analysemethoden der evidenzbasierten Medizin.
Der Lehrstuhl für Experimentelle Orthopädie wurde von 2004-2022 parallel zu den beiden Lehrstühlen für Orthopädie und Paraplegiologie geführt und mit Prof. Dr. Wiltrud Richter besetzt. Schwerpunkt der interdisziplinären Forschungsarbeiten waren die molekularen und zellulären Grundlagen biologischer Regenerationsprozesse von Knorpel-, Knochen- und Bandscheibenschäden. Viele Vorhaben erfolgten im Rahmen von internationalen Forschungsverbünden, die von DFG, EU, ERASMUS und Stiftungen finanziert werden. Seit 2022 ist der Forschungsbereich „Molekulare und regenerative Orthopädie“ (Leitung: PD Dr. Solvig Diederichs, Prof. Dr. Tobias Renkawitz) Teil der Orthopädischen Universitätsklinik.
- „Additive Hochleistungsverfahren für die Hüftendoprothetik – der hybrid Hip Prozess“ (Prof. Renkawitz, Prof. Kretzer, BMBF, seit 2019)
- „3D Muskelmodellierung zur Optimierung von OP-Techniken am Fuß” (Prof. Wolf, PD Hagmann, BMBF seit 2020)
- „Patientenindividuelles Drucken von Knochenstrukturleitschienen aus Bioglas“ (Dr. Grossner, BMBF, Beginn 2022)
- „Mikro- und Nanostrukturierungen zur Optimierung von Reibung von Verschleiß bei keramischen Implantatwerkstoffen“ (Prof. Kretzer in Kooperation mit der Helmut Schmidt Universität Hamburg, DFG, seit 2019)
- „Stimulation der Knochenheilung durch bioaktive Gläser – welchen Einfluss spielen therapeutisch aktive Ionen?“ (Dr. F. Westhauser in Kooperation mit der Univ. Erlangen-Nürnberg, DFG, seit 2019)
- „Neuer Therapieansatz zur Reduktion des Wachstums von Riesenzelltumoren bei gleichzeitiger Defektrekonstruktion mit Hilfe bioaktiver Gläser“ (Dr. Fellenberg, Dr. Westhauser, Prof. Lehner, Deutsche Krebshilfe, seit 2020).
- „Sektor-übergreifende Optimierung der Versorgungsqualität am Beispiel der Beinprothetik – AMP-KOMPASS“ (Prof. Wolf, Dipl.-Ing. Merkur Alimusaj, Prof. Renkawitz, Soz.Min. BaWü)