Forschungsstandort Hamburg
Translationale Forschung im Fokus am Zentrum MSM Hamburg
Die überragende Bedeutung interdisziplinärer translationaler Forschung ist die entscheidende Triebfeder für die Entwicklung des Zentrums Muskuloskelettale Medizin (MSM) des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Unfallchirurgie, Orthopädie, Osteologie und Medizintechnik bündeln ihre Kapazitäten mit dem Ziel, aus der gemeinsamen Forschung Verbesserungen sowohl für die akademische Ausbildung aller angehenden Unfallchirurgen, Orthopäden, Ingenieure und Biologen als auch für die Behandlung der Patienten zu erreichen.
Bereits 1994 wurde vom Hamburger Senat das Zentrum für Biomechanik, gleichsam als Brückenschlag über die Elbe, zwischen Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH) gegründet, um Interdisziplinarität von Biologie und Mechanik, ja Medizin und Technik zu fördern. Das war die Geburtsstunde der translationalen Forschung im Bereich Muskuloskelettale Medizin. Die Väter dieser Entwicklung waren seitens der Medizin die Professoren Günther Delling und Dietmar Wolter, seitens der Biomechanik kam Professor Erich Schneider hinzu und politisch flankiert wurde die Entwicklung vom damaligen Hamburger Forschungssenator Professor Leonhard Hajen.
In Würdigung der wachsenden Bedeutung muskuloskelettaler Erkrankungen in unserer gegenwärtigen Gesellschaft und in Wahrnehmung des eklatanten Defizits patientenorientierter muskuloskelettaler Forschung gründete das UKE im Jahr 2010 das Institut für Osteologie und Biomechanik (Direktor: Prof. Dr. Michael Amling). In der Folge wurde die Zusammenarbeit zwischen UKE und TUHH in das Forschungszentrum Medizintechnik Hamburg (Sprecher: Prof. Dr. Björn Busse) überführt. Entscheidend war dann die Weiterentwicklung von Unfallchirurgie (Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch) und Orthopädie (Prof. Dr. Frank Timo Beil) in ein Departmentsystem, in dem unter anderem mit den Departments Experimentelle Unfallchirurgie (Prof. Dr. Dr. Johannes Keller) und Orthopädische Forschung (PD Dr. Dr. Tim Rolvien) das optimale Fundament für eine interdisziplinäre muskuloskelettale Forschung in Hamburg hergestellt wurde.
Die jungen Leiter der Forschungsdepartments in Unfallchirurgie, Prof. Dr. Dr. Johannes Keller, und Orthopädie, PD Dr. Dr. Tim Rolvien, sind Paradebeispiele für gelungene integrative Ausbildung in O und U. Beide haben parallel zu ihrer Facharztausbildung doppelt promoviert. Fakt ist, dass es eines strukturierten Angebotes in Klinik und Forschung in der Ausbildung des medizinischen Nachwuchses bedarf. Die Habilitation ist eine ausgewiesene Individualleistung in den Bereichen Forschung und Lehre, die auch nicht mit dem größten Einsatz für die Klinik ausgeglichen oder anderweitig abgegolten werden kann. Daher ist es die Aufgabe, ja Pflicht, der Ordinarien unseres Fachgebietes, hier den Assistenten, die Möglichkeit zur Weiterentwicklung zu geben. Die Akteure in Hamburg haben erkannt, dass Forschungsdepartments in der eigenen Klinik sowie Rotationsmöglichkeiten während der Facharztausbildung über Klinikgrenzen hinweg exzellente strukturelle Voraussetzungen zur erfolgreichen Erfüllung dieses Auftrages sind.
Das übergeordnete Ziel ist, durch innovative operative Methoden in Kombination mit Translation biomolekularer Erkenntnisse neue Konzepte für die Behandlung von unfallchirurgischen Patienten zu entwickeln. Fokus der klinischen Forschung in der Unfallchirurgie (Prof. Dr. Karl-Heinz Frosch) ist, durch die Evaluation neuartiger chirurgischer Verfahren eine bestmögliche Behandlung von traumatologischen Patienten zu ermöglichen. Hierbei werden nicht nur Behandlungsabläufe bei lebensbedrohlichen oder multiplen Verletzungen optimiert, sondern insbesondere auch eigens konzipierte Therapieoptionen bei Patienten mit komplexen Gelenkverletzungen stringent untersucht. Ein Schwerpunkt des Departments Experimentelle Unfallchirurgie (Prof. Dr. Dr. Johannes Keller) ist eng mit der klinischen Forschung verzahnt: die Identifikation und das funktionelle Verständnis von lokalen sowie systemischen Biomediatoren, die an der Regeneration von Knochen und Gelenken beteiligt sind. Das Ziel hierbei ist die Entwicklung von innovativen Verfahren, um langfristig auch in der muskuloskelettalen Medizin individualisierte unfallchirurgische Therapiekonzepte anbieten zu können. Unterstützung für die Experimentelle Unfallchirurgie kommt ferner durch die Unfallforschung am BG Klinikum Hamburg, die seit Juli 2020 im Rahmen des „Integrativen Versorgungsmodells“ ein enger Kooperationspartner ist.
Das Ziel der orthopädischen Forschung ist, neue Konzepte zur Entstehung und Behandlung von Erkrankungen des Bewegungsapparates, die vom Kind bis ins hohe Alter reichen, zu identifizieren. Die klinischen Forschungsschwerpunkte der Orthopädischen Universitätsklinik (Prof. Dr. Frank Timo Beil) an den Standorten UKE und Bad Bramstedt liegen im Bereich der modernen Endoprothetik, der periprothetischen Infektionen sowie der orthopädischen Versorgungsforschung. Die angeschlossene Kinderorthopädie am Altonaer Kinderkrankenhaus untersucht operative und konservative Behandlungsmethoden kinderorthopädischer Erkrankungen.Im Department Orthopädische Forschung (PD Dr. Dr. Tim Rolvien) werden klinisch motivierte Fragestellungen mithilfe innovativer und translationaler Ansätze der Grundlagenforschung untersucht. Schwerpunktthemen sind die Knochenregeneration und die Implantat-Interface-Biologie sowie Mechanismen häufiger und seltener muskuloskelettaler Erkrankungen (wie Arthrose, Osteoporose und Osteogenesis imperfecta), die durch eine breite Palette von molekularbiologischen, histomorphometrischen und biomechanischen Methoden adressiert werden. Im Rahmen von Post-mortem- sowie Biopsie-Studien werden Knochen- und Knorpelproben mit bildgebenden Verfahren wie Micro- CT, Histologie/Histomorphometrie und Rasterelektronenmikroskopie charakterisiert.
Im Fokus des Instituts für Osteologie und Biomechanik (IOBM, www.iobm.de) steht die translationale Erforschung pathophysiologischer Krankheitsgrundlagen und innovativer Therapiekonzepte für Patienten mit häufigen und seltenen Osteopathien und Arthropathien. Die klinischen Bereiche der Osteologie (Prof. Dr. Michael Amling) und der Spezialambulanzen National Bone Board (Prof. Dr. Ralf Oheim) und Hypophosphatasie (Prof. Dr. Florian Barvenick) arbeiten eng mit den Bereichen Molekulare Osteologie (Prof. Dr. Thorsten Schinke), Zellbiologie seltener Erkrankungen (Prof. Dr. Thomas Braulke), Subzelluäre Osteologie (Prof. Dr. Sandra Pohl) und Histomorphometrie (PD Dr. Timur Yorgan) zusammen. Die Gruppen des IOBM sind darüber hinaus Partner in Forschergruppen und überregionalen Forschungsverbünden (KFO 306 PSC; FOR 2625 Lysosomes & Autophagy; SPP 2048 μBone; SFB 877 Proteolysis).
Die Medizintechnik am UKE integriert die Methoden der Werkstoffkunde, Mechanik und Bildgebung in die multiskalare Analytik von Knochen, Zahn, Muskel und Knorpel. Ein besonderer Schwerpunkt ist die Analyse von Interfaceregionen wie dem Übergang von Implantaten und Knochen, der Grenzflächen von Knochenersatzmaterialien, dem Übergang von Knochen und Sehnen und der Grenzfläche von Zellen und Hartgewebe (z. B. des Osteozytensystems im Knochen). Im Forschungszentrum Medizintechnik haben wir daher im Verbund mit den Kollegen der TUHH das Interdisziplinäre Centrum für Interfaceforschung (ICCIR, Prof. Dr. Björn Busse, Prof. Dr. Tobias Knoop, Prof. Dr. Alexander Schläfer) gegründet (www.fmthh.de).
Integrale Partner interdisziplinärer Forschung im MSM sind unter anderem die Rechtsmedizin (Prof. Dr. Klaus Püschel und Prof. Dr. Benjamin Ondruschka), die MKG-Chirurgie (Prof. Dr. Dr. Martin Gosau und Prof. Dr. Dr. Ralf Smeets), die Kieferorthopädie (Prof. Dr. Bärbel Kahl-Nieke) und die Sportmedizin (PD Dr. Götz Welsch).
Das MSM eint die Expertise aller beteiligten Disziplinen am Standort Hamburg. Mit der im Mai anstehenden Eröffnung der interdisziplinären „Denkfabrik“ wächst der Forschungscampus Lottestrasse um eine Begegnungs- und Interaktionsstätte aller Forschenden der Muskuloskelettalen Medizin. Ziel für die nächsten fünf Jahre ist, die Disziplinen in Hamburg auch in der täglichen klinischen Arbeit räumlich unter ein Dach zu bringen, um Synergieeffekte in Forschung und Klinik optimal interdisziplinär nutzen zu können, den translationalen Forschungsschwerpunkt durch ein Graduiertenkolleg und einen Sonderforschungsbereich Muskuloskelettale Medizin zu flankieren sowie durch den Aufbau eines interdisziplinären Studienganges Medizintechnik nachhaltig zu stärken.