Alles nur Hirngespinste einer verwöhnten Generation?
Nein: Ein Umdenken findet statt, notgedrungen, schon aufgrund der prekären Personalsituation. Und das ironischerweise in Zeiten, in der es in der freien Marktwirtschaft Verträge mit Vollarbeitszeit mit 35-Wochenstunden gibt.
Ärztinnen und Ärzte, die in ihrem Beruf ihre Bestimmung finden, gibt es auch unter dem Nachwuchs. Die Wünsche und Erwartungen der Generation Y und Z erfüllen den ärztlichen Berufsethos über alle Maße, denn für sinnerfülltes Arbeiten sind sie bereit, überdurchschnittlich viel zu arbeiten [1].
Erkrankt und unerträglich ist längst das System geworden, in dem wir Ärztinnen und Ärzte unseren geliebten Beruf ausführen sollen. In einem System, in dem Arbeitgeber, oft auch aufgrund ihrer eigenen Vergangenheit mit wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen, und aufgrund des hohen wirtschaftlichen Druckes schlechte Kompromisse für die personelle Dienstplanung finden müssen. Auch hat die Gesundheitspolitik über die letzten Jahre Investitionen als auch notwendige Entscheidungen in der Digitalisierung verschlafen und die getroffenen Entscheidungen haben zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen durch Mehraufwand geführt.
Dabei stehen wir mit unserem Fach an der Spitze der Patientenversorgung. Deutschland führt mit seinem Altersdurchschnitt der Bevölkerung die weltweite Statistik an. Wir versorgen den polytraumatisierten Patienten nach Verkehrsunfall genau wie die hochbetagte Bewohnerin eines Pflegeheims; Unfälle und muskuloskelettale Erkrankungen machen vor keiner Altersgruppe halt. Es muss daher das höchste Ziel aller Menschen (egal ob Patienten, Krankenhausträger, Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft genau wie wir Ärzte selber!) sein, ausreichend Personal in dieser essentiellen Fachrichtung zu halten.
Von Arbeitgeberseite ist dringend ein Umdenken notwendig. Wir brauchen eine Auseinandersetzung von Klinikbetreibern und Politik, um dem Beruf des Arztes im Kliniksektor weiterhin attraktiv zu halten, sonst werden bald nicht nur neue Bewerber ausbleiben, sondern auch die bestehenden Arbeitskräfte aus dem Kliniksektor ausscheiden [2].
Anknüpfend an unsere Beiträge Mitarbeitergewinnung, Mitarbeiterpflege und Mitarbeiterbindung: ein Appell [3] und Es gibt auch noch ein Leben neben dem Beruf in der OUMN in der Ausgabe 2/2023 [4] möchten wir die erste Checkliste zu Teilzeitmodellen unserer Sektion vorstellen. Damit tragen wir dem meist genannten Wunsch der jungen Generation nach mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf Rechnung [5].
Die Checklisten aus der Sektion BerufsLEBEN sind schon lange überfällig und so gefragt wie nie.
Diese erste Checkliste aus der Reihe zielt auf mehrere Punkte ab: Zum einen wollen wir aufzeigen, in welchen Teilschritten am besten eine Teilzeitreduzierung ablaufen kann, liefern Argumente und bieten praktikable Lösungen an. Wir wollen unseren Beitrag leisten, um zu einer lebenswerteren Zukunft zu gelangen.
Der Austausch über funktionierende Arbeitsmodelle ist wichtig – wir müssen unsere Arbeit und unsere Arbeitsmethoden beleuchten, schlaue Digitalisierung und Tools entwickeln, die uns im Alltag Arbeitszeit einspart, am besten vom Arbeitgeber gemeinsam mit der Arbeitnehmerschaft. Auch müssen Redundanzen und zeitfressende Arbeitsschritte vereinfacht werden.
Wir plädieren dafür, dass im Sinne der fortschreitenden Digitalisierung der externe Zugriff auf digitale Betriebssysteme ausgebaut werden sollte. Bürokratische Arbeit, wissenschaftliche Arbeit und „patientenferne Tätigkeiten“ können so von zu Hause aus durchgeführt werden. Die geleisteten Arbeitsstunden im Homeoffice müssen als Arbeitszeit anerkannt werden.
Es hat sich in vielen Kliniken dank starker Betriebsräte und engagierter Ärztinnen und Ärzte schon vieles zum Guten gewandelt. Dennoch gibt es noch Verbesserungspotential.
Trauriger Fakt ist, dass für die meisten Arbeitnehmer die Hauptmotivation für eine Teilzeitreduzierung der Wunsch ist, von ihrer ständigen Überplanung wegzukommen.
Zur Überplanung ein paar erläuternde Worte. Die Arbeitsverträge, die uns Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung vorgelegt werden, erlauben unglaubliche Arbeitsmengen, so sind 19 Tage am Stück inklusive 12h- oder 17h- oder 24-Dienste ohne eine echte Obergrenze an Gesamtstunden möglich. Mit einer Überplanung ist es möglich, als Arbeitnehmer über Wochen durchzuarbeiten oder von 31 Tagen im Monat nur drei Tage nicht zu arbeiten. Denn häufig gibt es im Arbeitsvertrag die Nebenabrede, die regelt, dass die Plusstunden (also Stunden, die man über 40 oder 42h/Woche laut Vertrag geplant regulär arbeitet) bis zu 48h/Woche ausgezahlt bekommt. Gleiches gilt für Bereitschaftsdienststunden beispielsweise im 24h-Dienst. Diese Stunden „verschwinden“ dann von Stundenkonto, da sie separat vergütet wurden
Abbildung 1: Viele Arbeitnehmer erleben, dass eine deutliche Überplanung durchgeführt wird, ohne dass sie diese je wieder in Freizeit ausgeglichen bekommen. An den meisten Standorte wird ein „überplanter“ Dienstplan bereits vor Monatsbeginn verabschiedet, um überhaupt alle Dienste besetzen zu können.
Wer, so fragen wir uns, arbeitet wohl in Zukunft noch freiwillig über 50h-Wochen, wenn in der freien Marktwirtschaft das gleiche Geld in der halben Arbeitszeit verdient wird?
Wo sollen die Ärztinnen und Ärzte herkommen, um die Folgen des anhaltenden Trends zur Teilzeitarbeit, das steigende Durchschnittsalter der Ärzteschaft und den demografischen Wandel zu kompensieren?
Abbildung 2: Insbesondere was die Arbeit an den Wochenenden angeht, führt dies oft aus Planungsgründen zu zwei 12h-Diensten statt einem 24h-Dienst. Zwei 12h-Dienste werden wiederum oft als besser empfunden als drei 8h-Dienste, da mehr Arbeitszeit am Stück abgeleistet wird und dadurch weniger Tage in der Klinik anfallen. In der Woche hat sich an vielen Standorten ebenfalls ein 12h-Dienst-System etabliert.
Für Fachärztinnen und Fachärzte, die Hintergrunddienste ableisten, tauchen oft weitere Probleme auf. Denn wie soll die Ruhezeit nach Einsatz im Rufbereitschaftsdienst streng eingehalten werden?
Als Lösung erscheint hier das sinnvoll, was viele Kliniken bereits eingeführt haben: Auf Modelle zu wechseln, bei denen ein standardmäßiges frei nach Rufdienst eingeplant wird. Ermöglicht wird dies beispielsweise über eine 4-Tage-Woche mit jeweils langen Arbeitstagen mit 10h-Vollarbeitszeit.
Aktuell hält sich das auf Ausbeutung der Ärzteschaft ausgerichtete System in den Kliniken deswegen am Laufen, weil die Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie mit 5 von den 6 Jahren in der Klinik abgeleistet werden muss. Laut der Musterweiterbildungsordnung können nur 12 Monate in der Praxis anerkannt werden. Hinzu kommt: Den OP Katalog für die Facharztprüfung auch nur in 5 Jahren zu erfüllen, ist illusorisch. Die meisten Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung benötigen über 6 Jahre, was die Umfragen des JFOU immer wieder unterstreichen [6].
Abbildung 3: Die Motivation für Teilzeit steigt in den letzten Jahren nicht aufgrund von Arbeitsverdruss oder Wunsch nach Workation der Generation Y und Z, sondern aufgrund der immensen und durchgehend nicht mehr zu bewerkstelligen Arbeitsmenge.
Hinzunehmen ist dabei von der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer, dass sich aufgrund der Teilzeit die eigene Weiterbildungszeit verlängert, sich negative Aspekte bei der Altersvorsorge und bei der Auszahlung von Überstunden ergeben.
Teilzeitmodelle sind vielfältig und können je nach klinikinternen Standards individuell gestaltet werden. Dabei soll die Teilzeitkraft in den alltäglichen Arbeitsalltag integriert werden, Übergabezeiten und Zuständigkeiten müssen dabei klar definiert sein. Bei Teilzeit muss entsprechend auch die Anzahl der Dienste reduziert werden [7]. Wichtig für jeden Standort ist daher eine realistische Personalplanung zu Grunde zu legen. Und dies obliegt dem Arbeitgeber. Teilzeitkräfte dürfen per Gesetz keine Benachteiligung erfahren, das bezieht sich insbesondere auf den Weiterbildungsfortschritt, die operative Tätigkeit und generelle Karrierechancen. Hierbei sei darauf hingewiesen, dass auch leitende Positionen in Teilzeit möglich sind.
Es gibt verschiedenste Dienstmodelle und auch verschiedenste Teilzeit-Modelle in den Kliniken, die näher in unserer Checkliste erläutert werden:
- Reduktion der wöchentlichen Arbeitszeit, oft als solche im Arbeitsvertrag dokumentiert
- Reduktion der täglichen Arbeitszeit, z.B. bei 80% wird die 8h-Arbeitszeit auf 6 h reduziert
- Reduktion der Anzahl der Arbeitstage entweder mit Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf variabel 2-5 Tage
- Jobsharing-Modell mit Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf zwei Arbeitnehmer
- Teilzeit in Elternzeit
Abbildung 5: Modell „Classic“ mit täglicher Stundenreduzierung
Abbildung 6: Modell „Classic Vario“ mit monatlicher Stundenreduzierung.
Abbildung 7: Modell „Classic Vario“ mit Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf variabel 2-5 Tage. Beispiel 1.
Abbildung 8: Modell „Classic Vario“ mit Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf variabel 2-5 Tage. Beispiel 2.
Abbildung 9: Modell „Jobsharing“ mit Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit auf zwei Arbeitnehmer.
Zwei Dinge sind essenziell dafür, dass Teilzeit in der Klinik funktionieren kann: Das Beachten des Tagesablaufs (Frühbesprechung, OP-Zeiten, Mittagsbesprechung, Schichtdienst) und eine Regelung für das Kompensieren dieser Teilzeit. Es kann nicht eine Teilzeitkraft auf eine Vollzeitstelle gesetzt werden und erwartet werden, dass die gleiche Arbeit in Teilzeit erledigt ist. Beispielsweise sollte bei fünf 80%-Teilzeitkräften eine 100% Stelle aufgefüllt werden.
Der Planungshorizont sollte lang im Voraus eingeplant werden, damit dem Arbeitgeber genügend Zeit bleibt, die Personalplanung vorzunehmen.
Im Fazit lässt sich sagen, dass wenn die Wochenarbeitszeiten bei 40h oder 42h blieben, wäre an den meisten Standorten gar keine Teilzeitreduzierung vonnöten.
Ein Arbeitgeber hat neben seinem Weiterbildungsauftrag auch eine Fürsorgepflicht für seine Weiterbildungsassistenten. Folgen wir rein ökonomischen Vorgaben, widersprechen wir dem Geist der ärztlichen Tätigkeit als Garant des Patientenwohls. Nachhaltige Qualität in der Patientenversorgung und gesunde Wirtschaftlichkeit kann nie durch Ausbeutung geschafft werden.
Lassen Sie uns gemeinsam lebensfreundliche Arbeitsbedingungen schaffen für eine fundierte Weiterbildung. Denn die Orthopädie und Unfallchirurgie stellt ein spannendes und vielseitiges Fach dar, bei dem wir viel mit unseren Händen arbeiten können – diesen Vorteil heißt es klar auszuspielen! Der Schlüssel zur Lösung ist es, die verbliebenen Weiterbildungsassistenten im Fach Orthopädie und Unfallchirurgie sinnvoll und effizient auf ihre eigentliche Tätigkeit einzusetzen – und von zeit- und nervenaufreibender Dokumentationsarbeit zu befreien und Zeit für das Wesentliche zu ermöglichen.